3 Ob 141/02k-2 vom 28.11.2002
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten
Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des
Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr.
Sailer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der
minderjährigen 1) Martin H*****, geboren am 18. Juni 1991, und 2)
Thomas H*****, geboren am 4. Februar 1993, infolge Revisionsrekurses
des Vaters Alois H*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts für
Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. März 2002, GZ 45 R
10/02g-46, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 21.
August 2001, GZ 7 P 279/97z-29, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache
wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das
Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
Der Vater erzielt seit Juli 2000 ein monatliches Nettoeinkommen von
durchschnittlich 36.135 S (= 2.626,03 EUR). Er ist - abgesehen von
den beiden Antragstellern - noch für seinen Sohn Anton, geboren am
31. Jänner 1979, sorgepflichtig. Eine weitere Sorgepflicht für seine
Tochter Alice, geboren am 16. April 1973, fiel Ende Juli 2000 weg.
Das Erstgericht erhöhte die Geldunterhaltspflicht des Vaters
gegenüber den beiden Minderjährigen für den Zeitraum vom 1. bis 31.
Juli 2000 auf 4.700 S (= 341,46 EUR) und ab 1. August 2000 auf 5.400
S (= 392,43 EUR) jeweils monatlich je Kind.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und ließ den
Revisionsrekurs zu, weil es zur Anrechenbarkeit der Familienbeihilfe
auf die Geldunterhaltspflicht nach den im Erkenntnis des VfGH vom 27.
Juni 2001 B 1285/00 erläuterten Kriterien an einer Rsp des Obersten
Gerichtshofs mangle.
Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.
1. Familienbeihilfe und Steuerentlastung
Der Oberste Gerichtshof beantragte gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140
B-VG) beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) aus Anlass anhängiger
Revisionsrekurse, den § 12a FLAG 1967 idFd BGBl 1977/646 als
verfassungswidrig aufzuheben. Mit Erkenntnis vom 19. Juni 2002, G
7/02 ua, hob der VfGH in § 12a FLAG die Wortfolge „und mindert nicht
dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig auf und sprach
ferner aus, diese Wortfolge sei nicht mehr anzuwenden und es träten
frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit. Der
VfGH schrieb seine schon im Erkenntnis vom 27. Juni 2001 erläuterte
Ansicht fort, es hätten nicht nur die Absetzbeträge (Unterhalts- und
Kinderabsetzbetrag), sondern auch die Familienbeihilfe der
steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen zu dienen.
Obgleich er nunmehr (nur) die Wortfolge „und mindert nicht dessen
Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig aufhob, erzielte er beim
Versuch der Widerlegung eines von der Bundesregierung ins Treffen
geführten Arguments folgendes Ergebnis:
Weil der Gesetzgeber die indirekte steuerliche Entlastung von
Geldunterhaltsschuldnern auf dem Weg über "(erhöhte)
Transferleistungen" spätestens seit dem BudgetbegleitG 1998 BGBl I
1998/79 bevorzuge, habe er "in Kauf genommen, dass ein Teil dieser
Transferleistungen in bestimmten Situationen und in unterschiedlicher
Höhe nunmehr nicht für die Kinder bestimmt" sei, "sondern der
steuerlichen Entlastung der Unterhaltsverpflichteten" diene. Deshalb
sei auch nicht die Auffassung zu teilen, "die steuerliche Entlastung"
gehe "auf Kosten der Kinder", für diese seien vielmehr "bei einer
solchen Konzeption der steuerlichen Berücksichtigung von
Unterhaltsmehrbelastungen die (erhöhten) Transferzahlungen insoweit
von vornherein nicht gedacht".
Der Begründungsaufwand des VfGH vermag jedoch nicht die auf der Hand
liegende Tatsache zu verdunkeln, dass die an sich erstrebenswerte
steuerliche Entlastung gut verdienender Geldunterhaltsschuldner -
nach seinem Berechnungsmodell - nur deren Kinder zahlen, ist doch
nunmehr der Teil staatlicher Transferleistungen, die kein Einkommen
der Kinder bilden und daher gerade nicht ihnen zufließen, aber
dennoch eine steuerliche Entlastung der Geldunterhaltsschuldner
bewirken sollen, von dem nach deren wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit und den Bedürfnissen der Kinder bemessenen
Geldunterhalt abzuziehen. Dabei bedient sich der VfGH in der Folge
ohnehin selbst der auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs
zutreffenden Diktion, "das Anliegen der antragstellenden Gerichte"
sei "offenbar so zu verstehen, dass diese mit ihren Anträgen
keineswegs darauf" abzielten, "eine Kürzung des Unterhaltsanspruchs
(Hervorhebung durch den erkennenden Senat) um die volle
Familienbeihilfe herbeizuführen, sondern dass es ihnen lediglich
darum" gehe, "die verfassungsrechtlich gebotene Anrechnung der
Transferleistungen auf den Unterhalt zu ermöglichen, der - ihrer
Meinung nach - der Wortlaut des § 12a FLAG im Wege" stehe.
Schließlich hält der VfGH fest, die nunmehr aufgehobene Wortfolge in
§ 12a FLAG verhindere, "dass die Familienbeihilfe auch insoweit, als
sie zur Abgeltung steuerlicher Mehrbelastungen von
Unterhaltspflichtigen bestimmt" sei, demjenigen zugute" komme, "der
diese Unterhaltsbelastung tatsächlich" trage, "obwohl die
Berücksichtigung auch bei ihm verfassungsrechtlich geboten" sei. Das
erfordere die "Anrechnung auf die Geldunterhaltsverpflichtung des
nicht haushaltszugehörigen Elternteils" in den aufgezeigten Grenzen,
somit im Ergebnis allein zu Lasten des Geldunterhalts der Kinder,
fließt doch die Familienbeihilfe - was nochmals hervorgehoben sei -
nicht den Kindern, sondern dem betreuenden Elternteil zu. Die
gebotene steuerliche Entlastung soll demnach durch die Kürzung des
nach der Leistungsfähigkeit der Unterhaltsschuldner und dem
Unterhaltsbedarf der Kinder bemessenen Geldunterhalts realisiert
werden, um diese Entlastung so die Kinder zahlen zu lassen. Diese
Wirkung wird nur entschärft, soweit die betreuenden Elternteile aus
der ihnen zufließenden Familienbeihilfe den Kindern jene Quote
zuwenden, um die deren Geldunterhalt zu kürzen ist.
2. Kürzung des festgestellten Geldunterhaltsanspruchs zufolge der
steuerlichen Entlastung
2.1. Die bisherigen Erwägungen ändern jedoch nichts daran, dass nach
Aufhebung der erwähnten Wortfolge in § 12a FLAG der nach der
Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen und den Bedürfnisssen
des Unterhaltsberechtigten - wie bisher - zu bemessende Geldunterhalt
im Interesse der gebotenen steuerlichen Entlastung von
Unterhaltsschuldnern - bei getrennter Haushaltsführung - in
verfassungskonformer Auslegung des § 140 ABGB um jenen Teil des
Kinderabsetzbetrags und der Familienbeihilfe zu kürzen ist, der die
steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bezweckt (so
schon im Ergebnis 4 Ob 46/02x; 4 Ob 52/02d).
Der Kindesunterhalt ist aus den jeweils höchsten Einkommensteilen des
Unterhaltspflichtigen zu decken. Sollte daher der Geldunterhalt nicht
zur Gänze mit Einkommensteilen, die dem höchsten jeweils in Betracht
kommenden (reduzierten) Steuersatz unterliegen, finanzierbar sein,
sodass ein bestimmter Teil des Geldunterhalts mit Einkommensteilen zu
decken ist, die mit einem geringeren (reduzierten) Steuersatz
belastet sind, so ergibt sich die Kürzung des Unterhaltsanspruchs aus
den summierten Ergebnissen zweier Prozentrechnungen. Dann sind auf
die in unterschiedliche Progressionsstufen fallenden Einkommensteile
zur Deckung des gesamten Geldunterhalts die jeweils bedeutsamen
(reduzierten) Steuersätze als Berechnungsgrundlage anzuwenden. Die
erörterten Steuersätze bestimmen sich nach dem für deren Ermittlung
maßgebenden Jahreseinkommen unter Ausklammerung der Sonderzahlungen -
des 13. und 14. Monatsbezugs. Nach § 33 Abs 1 EStG beträgt die
Einkommensteuer für die ersten 3.640 EUR 0 %, für die nächsten 3.630
EUR 21 %, für die nächsten 14.530 EUR 31 %, für die nächsten 29.070
EUR 41 % und für alle weiteren Beträge des Einkommens 50 %. Nach dem
Berechnungsmodell des VfGH erfasst die gebotene steuerliche
Entlastung die Hälfte des bemessenen Geldunterhalts. Insofern ist der
jeweilige Steuersatz maßgebend. Dieser ist jedoch jeweils um etwa 20
% zu reduzieren. Daher ist der Grenzsteuersatz von 50 % auf 40 %, der
Steuersatz von 41 % linear auf 33 % und der von 31 % linear auf 25 %
zu kürzen. Dann ist vom halben Unterhaltsbetrag jene prozentuelle
Quote zu ermitteln, die dem jeweils anzuwendenden reduzierten
Steuersatz entspricht. Als Ergebnis dessen erhält man den Betrag, von
dem vorweg der Unterhaltsabsetzbetrag als Transferleistung an den
Geldunterhaltspflichtigen abzuziehen ist. Der Rest ist die Grundlage
für die unten durchzuführende weitere Berechnung zur Ermittlung des
für den bemessenen Geldunterhalt maßgebenden Kürzungsfaktors.
2.2. Die demnach erforderliche Ermittlung des Kürzungsfaktors lässt
sich (hier) abstrakt und auf Grundlage fiktiver Zahlen in einer
modellartigen tabellarischen Demonstration - unter der Annahme von
Geldunterhaltspflichten für drei Kinder - wie folgt in mehreren
Schritten berechnen:
a) Als erster Schritt ist die jährliche Unterhaltsverpflichtung des
Unterhaltsschuldners zu ermitteln:
Unterhalt monatlich Unterhalt jährlich
in EUR in EUR
1.Kind 400 4.800
2.Kind 500 6.000
3.Kind 600 7.200
Summe 18.000
b) Daran anknüpfend ist der Steuersatz (StS.) zur Finanzierung der
jährlichen Unterhaltsschuld zu erforschen. Dabei wird bei dieser
Musterberechnung unterstellt, dass der zu finanzierende
Unterhaltsbetrag angesichts eines maßgebenden Jahreseinkommens von
62.880 EUR in zwei verschiedene Progressionsstufen fällt: 12.000 EUR
Jahresunterhalt in den Einkommensbereich über 50.880 EUR mit einem
reduzierten StS. von 40 %, der Rest von 6.000 EUR in den geringeren
Einkommensbereich mit einem reduzierten StS. von 33 %. Zu
vernachlässigen wäre, wenn nur ein geringfügiger Unterhaltsbetrag mit
dem in der niedrigeren Progressionsstufe zu versteuernden Einkommen
zu decken wäre. Dann wäre für die Berechnung nur eine
Progressionsstufe maßgebend. Das ist jedoch nach der Arbeitshypothese
dieser Musterberechnung nicht der Fall. Daraus folgt als Ergebnis:
Jahresunterhalt in EUR Steuersatz
12.000 40 %
6.000 33 %
Summe 18.000
c) Als nächster Schritt ist die steuerlich zu entlastende
Unterhaltsquote in EUR zu berechnen, erfasst doch diese Entlastung
nur die Hälfte des bemessenen Geldunterhalts:
Jährlicher StS. Prozentuelle Ergebnis
Unterhalt Reduktion in EUR
in EUR
12.000 40 % 40 % von 6.000 2.400
6.000 33 % 33 % von 3.000 990
Summe 3.390
Dieses Zwischenergebnis - steuerliche Entlastung einer jährlichen
Unterhaltsleistung von 3.390 EUR - dient der weiteren Berechnung als
Grundlage.
d) Als 4. Schritt ist auf den zu entlastenden Geldunterhalt der
Unterhaltsabsetzbetrag nach § 33 Abs 4 Z 3 lit b EStG (UAB) - derzeit
25,50 EUR für das erste Kind, 38,20 EUR für das zweite Kind und 50,90
EUR für jedes weitere Kind, jeweils monatlich, das sind jährlich
1.375,20 EUR - jeweils in EUR anzurechnen:
Zu entlastende Unterhaltszahlung 3.390,00
minus UAB jährlich für 3 Kinder - 1.375,20
Differenz = Kürzungsfaktor 2.014,80
e) Nunmehr ist vom Jahresunterhalt der aus der Familienbeihilfe
berechnete Kürzungsfaktor in EUR abzuziehen:
Jahresunterhalt 18.000,00
minus Kürzungsfaktor
aus der Familienbeihilfe 2.014,80
Gekürzte Unterhaltslast 15.985,20
f) Als letzter Schritt ist die gekürzte Unterhaltslast von 15.985,20
EUR auf drei Kinder aufzuteilen:
Die soeben ermittelte restliche jährliche Unterhaltslast für drei
Kinder ist proportional jedem der Kinder zuzurechnen. Der Anteil des
1.Kindes am Jahresunterhalt beträgt 26,66 %, der des 2.Kindes 33,34 %
und der des 3.Kindes 40%. Die Endberechnung des monatlichen
Geldunterhalts für jedes Kind ist somit auf folgende Weise
durchzuführen:
Kind Prozentsatz Jahresunterhalt Monatsunterhalt
in EUR in EUR
1. 26,67 % 4.263,25 355
2. 33,33 % 5.327,87 444
3. 40 % 6.394,08 533
3. Ergebnis für den Anlassfall
3.1. Im Anlassfall bezieht der Vater seit Juli 2000 ein monatliches
Nettoeinkommen von durchschnittlich 36.135 S (= 2.626,03 EUR). Das
für die Berechnung des Kürzungsfaktors bedeutsame Einkommen steht
nicht fest. Da der Kindesunterhalt - wie unter 2.2. erörtert -
jeweils den höchsten Einkommensteilen des Leistungspflichtigen
zuzuordnen ist, muss bei Berechnung der notwendigen Steuerentlastung
ermittelt werden, ob der Geldunterhalt zur Gänze im höchsten
Einkommensteil gedeckt ist oder für einen Teilbetrag ein niedrigerer
(reduzierter) Steuersatz maßgebend ist. Das Erstgericht wird daher
das Verfahren durch Feststellung des als Berechnungsgrundlage
maßgebenden Einkommens des Vaters ohne Sonderzahlungen zu ergänzen
haben, um sodann dessen Steuerentlastung nach den voranstehend
erläuterten Grundsätzen, jedoch mit den für den Anlassfall
bedeutsamen Zahlen berechnen zu können.
3.2. Der Vater wendet im Revisionsrekurs überdies zutreffend ein, es
müsse bei der Titelschaffung auf seine bisherigen Zahlungen Bedacht
genommen werden. Dazu ist festzuhalten, dass die Mutter bereits im
Unterhaltserhöhungsantrag namens der Kinder erklärte, der Vater
überweise seit Mitte 2000 monatlich durchschnittlich 6.000 S für
beide Kinder (ON 9). Allfällige Zahlungen des Vaters müssen daher
bereits im Spruch des zu schaffenden Unterhaltstitels berücksichtigt
werden.
Zur Aufgliederung des Gesamteinkommens und zum Zweck bestimmter
Einkommensteile hätte der Vater im ersten Rechtsgang schon in erster
Instanz Stellung nehmen können, war doch die Gehaltsauskunft, die das
Erstgericht schließlich als Feststellungsgrundlage heranzog, am 31.
Juli 2001, als der Vater beim Pflegschaftsgericht vorgesprochen
hatte, bereits ein Bestandteil des Aktes.
Dem Revisionsrekurs ist somit Folge zu geben.